Umweltschützer bekommen vor dem Oberverwaltungsgericht NRW Recht im Kampf gegen das Uniper-Kraftwerk. Der 1100-Megawatt-Block dürfte aber erstmal am Netz bleiben.
Düsseldorf Der Bebauungsplan für das umstrittene Kohlekraftwerk Datteln 4 ist nach einer Einschätzung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen ungültig. „Der Bebauungsplan der Stadt Datteln ist unwirksam“, sagte der Vorsitzende Richter Detlev Klein Altstedde am Donnerstag in Münster. Eine Revision sei nicht zugelassen.
Das vom Düsseldorfer Energiekonzern Uniper betriebene Kraftwerk hätte gar nicht dort gebaut werden dürfen, wo es jetzt steht, urteilt das Gericht. Es gab damit einer Handvoll Klägern rund um die Naturschutzorganisation BUND überraschend recht. Die Standortauswahl für das Kraftwerk sei fehlerhaft gewesen, so die Begründung.
Datteln 4 ist nicht nur das wohl umstrittenste fossile Kraftwerk, das hierzulande noch in Betrieb ist – es soll laut Plan auch bis zum Ende, nämlich bis zum Jahr 2038, am Netz bleiben. Genau das versuchen Klima-Aktivisten mit allen Mitteln zu verhindern. Mit der eher unscheinbaren Klage gegen den Bebauungsplan der Stadt Datteln könnte ihnen jetzt ein erster Teilerfolg gelungen sein. „Das ist definitiv ein wichtiger Sargnagel im Kampf gegen Datteln 4“, sagte Dirk Jansen vom BUND NRW am Donnerstag im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Neben dem BUND gehören auch die an Datteln angrenzende Stadt Waltrop und mehrere Privatpersonen zu den Klägern. Unter anderem kritisierten sie Überschreitungen der Lärmgrenzwerte, Verschattungen durch Schwaden und ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung durch Schadstoffbelastung sowie durch die Legionellengefahr. Der Kühlturm befindet sich in unmittelbarer Nähe zu einem reinen Wohngebiet und einem Kinderkrankenhaus.
Die neue Einschätzung des Gerichts in Münster betrifft zwar einzig das Baurecht und nicht die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks, aber auch die für den Betrieb ausschlaggebende Genehmigung will der BUND noch vor Gericht kippen. Das könnte allerdings noch ein paar Monate dauern. Der 1100-Megawatt-Block in Datteln dürfte deswegen erstmal am Netz bleiben. Von der aktuellen Entscheidung erhoffen sich die Umweltschützer aber eine bessere Grundlage für die noch ausstehenden Verfahren.
Uniper will Datteln 4 „weiter zuverlässig betreiben“. „Das Gericht hat heute nicht über die Stilllegung von Datteln 4 entschieden, sondern über formale Aspekte des Planungsrechts“, stellte ein Sprecher des Uniper-Konzerns am Donnerstag klar. „Uniper geht weiterhin von der Rechtmäßigkeit der für das Kraftwerk erteilten Genehmigung aus.“ Datteln 4 werde weiter „zuverlässig betrieben“, betonte der Sprecher. Man nehme das Urteil zwar ernst, teile die Sicht des Gerichts aber „ausdrücklich nicht“. Deswegen wolle man nun die Einlegung von Rechtsmitteln prüfen.
Der Energiekonzern Eon, der sein Kraftwerksgeschäft an Uniper abgegeben hatte, hatte den Grundstein für das Kraftwerk 2007 gelegt. Bereits 2009 wurde der Bau des Kraftwerks zwischenzeitlich gestoppt. Auch damals ging es um Kritik am Bebauungsplan. Die damalige rot-grüne Landesregierung änderte daraufhin die Landesplanung, damit der Bau des damaligen Besitzers Eon an der falschen Stelle – rund fünf Kilometer entfernt – nachträglich rechtens war.
Für Uniper ist Datteln 4 „eines der modernsten Steinkohlewerke der Welt“, für seine Gegner ist es das „Klimakiller-Kraftwerk“ schlechthin. Schon lange bevor Datteln 4 im Mai 2020 trotz geplantem Kohleausstieg ans Netz gegangen ist, hagelte es Proteste – und Klagen.
Aktuell stehen mehr als fünf größere und einige kleinere Verfahren gegen das Kraftwerk aus. Dabei geht es unter anderem um Genehmigungen, die auch Fragen von schädlichen Umwelteinflüssen des Steinkohlekraftwerks betreffen. „Dieser Gerichtsentscheid ist ein Erfolg fürs Klima“, kommentiert Sonja Meister, Expertin bei der Nichtregierungs-Organisation Urgewald das Urteil. „Dass das Kraftwerk durch die Zivilgesellschaft mit dem Baurecht gestoppt werden muss, spricht Bände über die Klimaignoranz der deutschen Regierung und der Betreiberfirmen Fortum und Uniper.“
In diesem Fall, sagte Meister, nutze man eben das Baurecht, um ans Ziel zu kommen. Aber das Ergebnis bleibe in letzter Instanz dasselbe: Das Aus für Datteln 4 soll ihrem Willen nach vorzeitig kommen.
Uniper-Chef Maubach ist offen für ein früheres Ende von Datteln 4. Uniper selbst blieb lange bei der Aussage, dass Datteln das letzte Kohlekraftwerk sei, das in Deutschland vom Netz geht. „Wir wollen Datteln bis 2038 laufen lassen“, hatte der damalige Chef Andreas Schierenbeck noch Anfang des Jahres betont.
Sein Nachfolger Hans-Dieter Maubach hingegen schlug im Handelsblatt-Interview nach seinem Amtsantritt an der Spitze des Energiekonzerns schon andere Töne an. „Wenn eine deutsche Bundesregierung sagt, dass sie über den Kohleausstieg noch mal neu sprechen will, dann sind wir bereit, darüber zu sprechen“, sagte Maubach. Eine frühere Stilllegung sei denkbar – solange die finanzielle Entschädigung stimme.
Für einen früheren Zeitpunkt, sagte Maubach, müsse es außerdem einen Interessenausgleich geben, der eine technisch mögliche und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Perspektive für die aus Datteln 4 mit Fernwärme beziehungsweise mit Bahnstrom versorgten Kunden vorsehe. Unter anderem beziehen die Deutsche Bahn und der Energiekonzern RWE Kohlestrom aus dem Kraftwerk. Außerdem kann Datteln 4 nach Unternehmensangaben rechnerisch 100.000 Haushalte mit Fernwärme versorgen.
Die Bundesregierung und die NRW-Landesregierung betonen immer wieder, dass im Gegenzug für Datteln 4 ältere Steinkohlekraftwerke früher abgeschaltet werden. Dadurch würden die zusätzlichen Kohlendioxid-Emissionen des neuen Kraftwerks kompensiert. Klimaschützer sehen darin einen Verstoß gegen die Empfehlungen der Kommission zum Kohleausstieg.